Im internationalen Steuerrecht stellt sich häufig die Frage, ob eine Betriebsstätte vorliegt. Dies ist entscheidend, um festlegen zu können, welchem Land das Besteuerungsrecht nach dem Doppelbesteuerungsabkommen
zugeordnet wird. Dabei kommt es nicht selten zu ab-weichenden Auffassungen inländischer und ausländischer Finanzbehörden. Nun gibt es zu diesem Thema ein neues Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 7. Juni 2023 (I R 47/20; veröffentlicht am 17. August 2023).
I. Sachverhalt und Rechtsfrage
Streitig war, ob ein Flugzeugingenieur auf Grund einer deutschen Betriebsstätte mit seinen Einkünften in Deutschland zu besteuern
ist. Der Steuerpflichtige hatte in den Streitjahren 2008 bis 2014 sowohl einen inländischen Wohnsitz in Deutschland als auch einen Wohnsitz in Großbritannien. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen lag unstreitig in Großbritannien, so dass die Ansässigkeit im Sinne des Doppelbesteuerungsabkommens in Großbritannien vor lag. Das hat zur Folge, dass sich eine Besteuerung in Deutschland nur ergibt, wenn die Tätigkeit durch eine in Deutschland belegene Betriebsstätte erbracht wird.
Der Kläger ist alleiniger Gesellschafter und (ohne schriftlichen Arbeitsvertrag) Director der X Ltd. mit Sitz in Großbritannien. Die ebenfalls in Großbritannien ansässige Y Ltd. hat mit der A-GmbH, einem inländischen Betreiber und Charterer von Flugzeugen, ein sogenanntes „Line Maintenance Agreement“ mit dem Gegenstand abgeschlossen, lizensiertes Flugzeugwartungspersonal und deren Werkzeuge zu überlassen. Der Steuerpflichtige und die Y Ltd. vereinbarten einen „Freelancer Contract“, worin der Freelancer verpflichtet wurde, flugzeugbezogene Wartungsleistungen als Subunternehmer zu erbringen.
Die Tätigkeit wurde auf dem Flughafengelände der A GmbH ausgeführt. Die eingesetzten Ingenieure und Mechaniker konnten auf dem Gelände der A GmbH Umkleide-, Verwaltungs- und Gemeinschaftsflächen nutzen. Diese Räume wurden von der Y Ltd. von der A GmbH an-gemietet. Außerdem hatten die Ingenieure und Mechaniker einen verschließbaren Spind, um ihre Kleidung aufzubewahren. Darüber hinaus, hatte jeder Mitarbeiter ein mit seinem Na-men und dem Namen der Y Ltd. beschriftetes Schließfach, in dem er persönliche Gegenstände aufbewahren konnte. Der Einlass auf das Flughafengelände erfolgte durch einen Sicherheitsausweis und eine Sicherheitskontrolle.
Der Steuerpflichtige
hat gegenüber dem Finanzamt erklärt, dass seine Einkünfte aus dieser Tätigkeit in Großbritannien versteuert werden, da in Deutschland keine Betriebsstätte vorhanden ist. Das deutsche Finanzamt
kam jedoch zu dem Ergebnis, dass der Steuer-pflichtige in Deutschland in einer festen Einrichtung (Betriebsstätte) tätig sei und damit die Voraussetzungen für das Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaates Deutschland
erfüllt ist.
II. Verfahrensgang
1. Sächsisches Finanzgericht
Aus Sicht des zuständigen Finanzamtes ist auf die von der Y Ltd. gezahlten Vergütungen an den Flugzeugingenieur in Deutschland Einkommensteuer zu zahlen. Dagegen hat der Flugzeugingenieur Klage beim Sächsischen Finanzgericht eingereicht. Das Finanzgericht entschied zu Gunsten des Steuerpflichtigen (Urteil vom 8. Oktober 2020, 3 K 49/17). Es argumentiert, dass der Flugzeugingenieur vertragszweckbezogen zu vorgegebenen Zeiten die durch die Y Ltd. angemieteten Räume
und die Flächen der A GmbH, auf denen die Flugzeuge geparkt waren, aufgesucht und dort Wartungsleistungen erbracht hat. Gegenstände des Steuerpflichtigen sind weder in den von der Y Ltd. angemieteten Räumen noch auf den Flächen der A GmbH verblieben. Das Gericht stellt fest, dass allein das „Sichaufhalten und Tätigwerden“ mit eigenem Werkzeug in fremden Räumlichkeiten, um Arbeiten zu verrichten, für die Begrün-dung einer Betriebsstätte nicht ausreichen würde. Des Weiteren legte das Gericht dar, dass durch den Spind zur Aufbewahrung von privaten Gegenständen, keine
Betriebsstätte begründet wird und somit keine Besteuerung in Deutschland
zu erfolgen hat.
2. Urteil des Bundesfinanzhofs
Gegen das oben dargelegte Urteil des Sächsischen Finanzgerichts legte die Finanzverwaltung erfolgreich Revision ein, so dass der Fall dem Bundesfinanzhof zur Entscheidung vorgelegt wurde.
Zunächst war der Betriebsstättenbegriff im nationalen Recht zu betrachten. Eine Betriebsstätte im Sinne des § 12 Satz 1 Abgabenordnung ist jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage mit einer festen Beziehung zur Erdoberfläche, die für eine gewisse Dauer besteht, der Geschäftstätigkeit dient und für die nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht besteht. Der Begriff einer Betriebsstätte beinhaltet somit eine örtliche und eine zeitliche Komponente. Im internationalen Kontext, also im Doppelbesteuerungsabkommen, ist für das Vorliegen einer Betriebsstätte ebenfalls der örtliche und zeitliche Aspekt relevant.
Im Streitfall bejahte der Bundesfinanzhof die Verfügungsmacht des Flugzeugingenieurs im Sinne einer Nutzungsmöglichkeit über die Räumlichkeiten (Hangar, Computerraum, Verwaltungs-/Aufenthalts- und Umkleideraum), abgeleitet aus der Vereinbarung zwischen der A GmbH und der Y Ltd. Dass die Verfügungsmacht keine alleinige war und dass sie hätte entzogen werde können, beeinträchtigt, gemäß dem Bundesfinanzhof, die Position des Steuerpflichtigen für die Dauer der noch nicht aufgekündigten Vereinbarung nicht.
Des Weiteren stellt der Bundesfinanzhof fest, dass es im Streitfall nicht an der orts-bezogenen „Verwurzelung“ des Unternehmens des Flugzeugingenieurs fehlt. Der Steuerpflichtige hat zwar in seinem ihm persönlich zugewiesenen Schließfach sein Werkzeug nicht aufbewahrt, aber eine betriebsbezogenen Nutzung dieses Spindes war nicht ausgeschlossen. Vielmehr ist der Spind auf Grundlage der betriebsbezogenen Erfordernisse dazu geeignet und bestimmt, die private Kleidung während der Einsatzzeit und die Arbeitskleidung außerhalb der Einsatzzeit aufzubewahren. Der Bundesfinanzhof argumentiert, dass selbst wenn die Werkzeuge nach dem jeweiligen Abschluss der Tätigkeit nicht am Ort (also im Spind) gewesen sein sollten, nur ein Teil der der Tätigkeit dienenden Arbeitsmittel nicht vor Ort war. Auch die Arbeitskleidung ist als unerlässliches Arbeitsmittel anzusehen, zumindest soweit diese nach Arbeitsschutzvorschriften erforderlich ist.
In seinem Urteil vom 7. Juni 2023 (I R 47/20) beurteilte der Bundesfinanzhof den Fall anders als das Sächsische Finanzgericht. Der Bundesfinanzhof hob die Entscheidung des Sächsischen Finanzgerichts auf und wies die Klage des Flugzeugingenieurs ab. Das Vorliegen einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen (Flugzeugingenieur) in den Räumlichkeiten eines Dritten wurde vom Bundesfinanzhof bejaht.
III. Fazit
Der Bundesfinanzhof hat in seiner Entscheidung deutlich gemacht, dass ein Dienstleister nicht allein durch physische Präsenz in Räumlichkeiten des Auftraggebers eine Betriebsstätte begründet. Für das Entstehen einer Betriebsstätte ist eine gewisse Verfügungsmacht über die Räumlichkeiten und eine „Verwurzelung“ am Ort der Leistungserbringung erforderlich. Diese war im vorliegenden Fall durch das persönliche Schließfach, welches zur betriebsbezogenen Nutzung zur Verfügung stand, gegeben. Ein wichtiger Punkt in diesem zu entscheiden-den Fall war auch, dass das Nutzungsrecht für die Räumlichkeiten vertraglich geregelt war. Der Bundesfinanzhof hat sich in seinem Urteil nicht dazu geäußert, wie ein Sachverhalt zu lösen ist, wenn keine entsprechende vertragliche Vereinbarung vorliegt.
In der Praxis ist folglich zu beachten, dass sich insbesondere für Dienstleister aus der Tätigkeit bei einem Auftraggeber eine Betriebsstätte ergeben kann. Es sind nicht zwingend eigene Räumlichkeiten erforderlich. Entscheidend sind jedoch immer die Gesamtumstände des Einzelfalls. Zu diesem Themenkomplex wird es sicherlich weiterhin zu Diskussionen mit den Finanzbehörden und zu weiterer Rechtsprechung kommen. Zur Minimierung des Risikos der Entstehung einer Betriebsstätte können zuvor jedoch einige Punkte berücksichtigt werden.
Zur Beratung in diesen Fällen stehen wir Ihnen mit unserem Fachwissen unter der Telefonnummer 02204 9508-100 gerne zur Verfügung.