Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit den am 1. September 2022 veröffentlichten Beschlüssen vom 3. August 2022 (Az. IX B 16/22 und Az. IX B 17/22) in den Leitsätzen wie folgt entschieden:
„Es ist geklärt, dass § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 2. Alternative EStG (nur) zur Anwendung gelangt, wenn die Immobilie im Kalenderjahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Kalenderjahren zu eigenen Wohnzwecken genutzt wird.“
Obschon dies eine gesicherte Verwaltungs- und Rechtsprechungsauffassung darstellt, treten in der Praxis vermehrt Fälle auf, in denen der Steuerpflichtige entweder das zeitliche Erfordernis der „Nutzung einer Immobilie zu eigenen Wohnzwecken“ falsch einschätzt oder aber durch den Steuerpflichtigen nur fälschlicher Weise eine „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ im Sinne der Befreiungsvorschrift angenommen wurde, diese aber tatsächlich gar nicht vorgelegen hat. Die daraus resultierenden „Steuerfallen“ wollen wir vor dem Hintergrund der jüngsten BFH-Beschlüsse noch einmal aktuell beleuchten.
II. Auf einen Blick
Grundsätzlich ist der Verkauf einer Immobilie aus dem steuerlichen Privatvermögen nur dann steuerfrei, wenn zwischen der Anschaffung und der Veräußerung mehr als zehn Jahre
liegen. Darüber hinaus auch wenn die Immobilie zwischen Anschaffung und Veräußerung
oder zumindest im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken
genutzt wurde. Im Ergebnis wäre damit – im Extremfall – die ausschließliche Nutzung zu eigenen Wohnzwecken über ein Jahr und zwei Tage vor der Veräußerung
ausreichend, um die Spekulationsfrist von 10 Jahren
eklatant zu verkürzen. In der Praxis birgt jedoch sowohl der verkürzte Beobachtungszeitraum als auch das Erfordernis der „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ nicht unerhebliche steuerliche Risiken, zum Beispiel bei der Überlassung von Wohnraum an Dritte sowie bei einem Immobilienverkauf nach einer Scheidung.
III. Im Detail
1. Zeitraumbetrachtung
Die Überschüsse bei Immobilienveräußerungen aus dem steuerlichen Privatvermögen sind nur dann steuerfrei, wenn zwischen der Anschaffung und der Veräußerung mehr als zehn Jahre
liegen (§ 22 Nr. 2 i. V. m. § 23 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG). Für die Berechnung der Behaltensfrist
sind die obligatorischen Rechtsgeschäfte, d. h. der Abschluss
der jeweiligen notariellen Verträge
ausschlaggebend. Darüber hinaus bleiben Veräußerungsgewinne aber auch steuerfrei, wenn die Immobilie zwischen Anschaffung und Veräußerung
oder zumindest im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken
genutzt wurde (§ 22 Nr. 2 i. V. m. § 23 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG). Bei der zweiten Alternative (Eigennutzung im Jahr der Veräußerung und den beiden vorangegangenen Jahren) muss sich die Nutzung jedoch nicht
über vollen drei Kalenderjahre
erstrecken.
Der BFH konkretisierte
den normspezifischen relevanten Beobachtungszeitraum noch einmal dahingehend, dass die Voraussetzung der Nutzung der Wohnimmobilie im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren
zu eigenen Wohnzwecken i. S. d. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 2. Alternative EStG bereits bei einer zusammenhängenden Nutzung
von einem Jahr und zwei Tagen
gegeben sein kann, wobei sich die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken auf das gesamte mittlere Kalenderjahr
erstrecken muss, während die eigene Wohnnutzung im zweiten Jahr vor der Veräußerung und im Veräußerungsjahr nur jeweils einen Tag zu umfassen braucht (vgl. so auch bereits Senatsurteil vom 03.09.2019 - IX R 10/19, BFHE 266, 507, BStBl II 2020, 310, Rz 11). Der im Gesetz nicht näher bestimmte Betriff des „Jahr der Veräußerung“ umfasse das Kalenderjahr und somit keinen Zeitraum von 365 Tagen oder 12 Monaten.
Diese Auffassung steht auch im Einklang mit der jüngsten Konkretisierung der Verwaltungsauffassung
in diesem Zusammenhang. Demnach ist muss die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken über einen zusammenhängenden Zeitraum
vorliegen, der sich über drei Kalenderjahre erstreckt. Es genügt hierbei, dass der Steuerpflichtige die Immobilie im Jahr der Veräußerung
zumindest am 1. Januar, im Vorjahr
der Veräußerung durchgehend
sowie im zweiten Jahr vor der Veräußerung mindestens am 31. Dezember
zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat (vgl. dazu BMF Schreiben vom 17. Juni 2020, BStBl I S. 576).
Wird hingegen die Immobilie im Jahr der Veräußerung
indes überhaupt nicht
mehr zu eigenen Wohnzwecken genutzt, kommt die Ausnahmevorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 2. Alternative EStG nicht
zur Anwendung (vgl. so auch bereits Senatsbeschluss vom 18.11.2019 - IX B 72/19, BFH/NV 2020, 356, Rz. 6). Dies ist insbesondere kritisch, wenn sich der geplante Verkauf der zuvor qualifiziert selbst genutzten Immobilie längere Zeit hinzieht.
2. Zu „eigene Wohnzwecken genutzt“
Der Steuerpflichtige
muss die Immobilie während des Beobachtungszeitraumes zu eigenen Wohnzwecken genutzt haben. Bereits die Aufnahme weiterer Familienangehöriger kann – je nach Ausgestaltung des Einzelfalls – die Steuerbefreiung (zumindest teilweise) entfallen lassen. Eindeutig keine
„Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ liegen vor, wenn die Immobilie entgeltlich an andere Personen überlassen wird und der Steuerpflichtige nicht zugleich die Immobilie (mit-)bewohnt. Aus Sicht der Finanzverwaltung ist hingegen die teilweise, unentgeltliche Überlassung der Wohnung an einen Dritten solange unschädlich, wie die dem Steuerpflichtigen zu eigenen Wohnzwecken verbleibenden Räume noch den Wohnungsbegriff erfüllen und ihm die Führung eines selbständigen Haushaltes ermöglichen (vgl. dazu BMF-Schreiben vom 5. Oktober 2000, BStBl. I 2000, 1383, Rz. 22). Erfreulich ist hingegen, dass eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken auch bei nur zeitweilig bewohnte Zweit- oder Ferienwohnungen
angenommen werden kann, sofern dem Steuerpflichtigen die Immobilie auch in der übrigen Zeit als Wohnung zur Verfügung steht (vgl. dazu BFH vom 27. Juni 2017 IX R 37/16, BStBl. 2017 II, 1192). Im Ergebnis kann ein Steuerpflichtiger somit zeitgleich mehrere Wohnungen zu eigenen Wohnzwecken
nutzen (z. B. Zweitwohnungen, nicht zur Vermietung bestimmte Ferienwohnungen oder Wohnungen im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung), sofern die Nutzung auf Dauer angelegt ist. Wird die Wohnung hingegen auch Dritten unentgeltlichen oder entgeltlichen Nutzung überlassen, unterliegt diese Immobilie der normalen Zehnjahresfrist.
Äußerst kritisch, aber zurzeit noch nicht höchstrichterlich entschieden, kann hingegen ein scheidungsbedingtes Getrenntleben
durch Auszug eines Ehepartners, vor der entgeltlichen Übertragung
des hälftigen Bruchteils am bisher gemeinsam genutzten Einfamilienhaus an den anderen Ehepartner im Rahmen einer Scheidungsvereinbarung, werden. Das Finanzgericht (FG) München hat in dieser Sache unlängst entschieden, dass die „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ für einen Ehemann zu versagen war, nachdem dieser zwei Jahre vor der entgeltlichen Übertragung seines Miteigentumsanteils an seine Ehefrau aus dem gemeinsam genutzten Einfamilienhaus ausgezogen war und nur die (später geschiedene) Ehefrau samt dem gemeinsamen neunjährigen Kind die Immobilie weiterhin bewohnt hatte (vgl. dazu FG München vom 11.3.2021 11 K 2405/19, EFG 2021, 1625). Auch habe nach Auffassung des FG München eine „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ nicht schon deswegen vorgelegen, weil der Ehemann seinen hälftigen Miteigentumsanteil an dem Einfamilienhaus seinem neunjährigen Kind zur alleinigen Nutzung überlassen habe, da vorliegend die Immobilie auch der Ehefrau mit überlassen wurde. Im Ergebnis war der aus der entgeltlichen Veräußerung erzielte Überschuss, nach der Entscheidung des FG, steuerpflichtig. Das Revisionsverfahren hierzu ist zu Zeit beim BFH anhängig (Az. BFH: IX R 11/21)
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IV. Auswirkung auf die Praxis
Wie vorstehend gezeigt werden konnte, kommt es – wie so häufig – auf Kleinigkeiten an, die gleichwohl steuerlich erhebliche Auswirkungen haben können. Insbesondere die falsche Berechnung etwaiger Beobachtungszeiträume sowie die landläufig verfestigte Auffassung, dass zu eigenen Wohnzwecken genutzte Immobilien stets einkommensteuerfrei veräußert werden können, birgt in der Praxis ein erhebliches steuerliches Risiko. Mit Blick auf die Möglichkeit signifikante Überschüsse aus einer Immobilienveräußerung steuerfrei zu vereinnahmen, sollte jede Immobilientransaktion einzelfallbezogen auf etwaige Risiken hin analysiert und der Veräußerungszeitpunkt entsprechend (früher oder später) gewählt werden.
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