I. Auf einen Blick
Die Bereitstellung von Ladevorrichtung für Elektrofahrzeuge ist ein an Beliebtheit gewinnendes Geschäftsmodell. Neben der Bereitstellung des Stroms werden u.a. weitere Dienstleistungen erbracht z.B. die Bereitstellung von IT-Anwendungen für den Bezahlvorgang oder das Reservieren von Ladestationen. Unklarheit bestand bislang darüber, ob diese weiteren Leistungskomponenten Dienstleistungen darstellen und umsatzsteuerlich als sonstige Leistungen einzuordnen sind. Die richtige umsatzsteuerliche Zuordnung kann Auswirkungen auf den Ort der Leistung oder die Anwendbarkeit von Umsatzsteuerbefreiungen haben.
Der EuGH hat nun mit Urteil vom 20.04.2023 entschieden, dass der Bezug von Strom an einer Ladesäule eine einheitliche Lieferung darstellt. Die damit verbundenen Dienstleistungskomponenten qualifizieren die Lieferung nicht in eine sonstige Leistung eigener Art um.
II. Im Detail
1. Urteilssachverhalt
Ein polnisches Unternehmen (nachfolgend Klägerin) hat die Erteilung eines Umsatzsteuer-Vorabbescheides bei dem zuständigen polnischen Finanzamt beantragt. Die Klägerin möchte Ladesäulen für Elektrofahrzeuge betreiben, welche den Nutzern verschiedene Standards an Ladegeschwindigkeit bieten. Die Klägerin beabsichtigt Ladestationen mit Multistandardladegeräten auszustatten, welche sowohl über Schnellladeanschlüsse mit Gleitstrom verfügen, als auch über Langsamladeanschlüsse mit Wechselstrom. Für all diese Leistungen rechnet die Klägerin in Abhängigkeit von der Ladezeit einen einheitlichen Preis ab.
Des Weiteren beabsichtigt die Klägerin eine spezielle Plattform, Website oder Anwendersoftware bereitzustellen, über welche die jeweiligen Nutzer Anschlüsse reservieren und den Ver-lauf der getätigten Umsätze und Zahlungen einsehen können. Weiter wird über ein künftiges Abrechnungssystem mit elektronischer Geldbörse nachgedacht, in welches die Kunden Gut-haben einzahlen können. Sämtliche Zusatzleistungen wie das Bereitstellen von z.B. Anwendersoftware und Abrechnungssystemen dienen ausschließlich dazu, die Vorrichtungen an den Ladestationen zu nutzen. Sie werden den Kunden nicht gesondert in Rechnung gestellt.
Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass die Gesamtheit der erbrachten Leistungen eine einheitliche steuerpflichtige Handlung darstelle und somit eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung
i.S.d. Art. 8 Abs. 1 PL-MwStG. Die Hauptleistung aus Sicht des be-treffenden Kunden bestünde im Zugang zu einer Ladestation und in der notwendigen Verbindung eines Ladegeräts mit dem Betriebssystem des Fahrzeugs. Ziel eines solchen Umsatzes sei es nicht, Elektrizität anzubieten/zu verkaufen, sondern den Kunden die hochentwickelten Ladevorrichtungen zur Verfügung zu stellen, mit denen die Ladestationen ausgestattet seien.
Die polnische Finanzbehörde war der Ansicht, dass unter Zugrundelegung der Art. 5 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 PL-MwStG sowie der EuGH-Rechtsprechung die Lieferung von Strom als Hauptleistung anzusehen sei, da die Lieferung von Strom für das Aufladen eines Elektrofahrzeugs unentbehrlich ist, während die anderen Leistungen bloße Hilfeleistungen darstellen. Die Bereitstellung der Ladevorrichtung, die Sicherstellung der Übertragung von Strom mit entsprechend angepassten Parametern an die Batterie der Elektrofahrzeuge wie die erforderliche technische Unterstützung für die Kunden stehen zueinander in enger Verbindung und sind für das Aufladen des Fahrzeugs unentbehrlich. Folglich müssten nach Sicht der Finanzbehörde diese Leistungen als ein Umsatz anzusehen sein. Die Bereitstellung einer Plattform/Website/Anwendungssoftware bzw. elektronische Geldbörse stellen Nebenleistungen dar.
Nach Ansicht des vorlegenden polnischen Gerichts war der Standpunkt der polnischen Finanzbehörde überzeugender, da der Kunde an der Nutzung der Ladesäulen selbst für sich genommen kein Interesse hat, sondern diese als Mittel dient um unter bestmöglicher Bedingung die Hauptleistung „Lieferung von Strom“ unter Zuhilfenahme der Ladevorrichtung zu erlangen.
Das polnische Vorlagegericht stellte daher dem EuGH die Frage, ob es sich bei der komplexen Leistung umsatzsteuerrechtlich um eine Lieferung oder um eine Dienstleistung handelt.
2. EuGH Urteil vom 20.04.2023 (C – 282/22)
Der EuGH schließt sich der Sichtweise an
und sieht in den betreffenden Leistungen insgesamt eine einheitliche Lieferung.
Um festzustellen, ob eine einzige komplexe Leistung als „Lieferung von Gegenständen“ oder „Dienstleistung“ einzustufen ist, müssen die dominierenden Bestandteile des Umsatzes
bestimmt werden. Es muss auf die Sicht des durchschnittlichen Nutzers
der Ladevorrichtungen abgestellt werden, wobei im Rahmen einer Gesamtbewertung die qualitative und nicht nur quantitative Bedeutung der Elemente der Dienstleistung im Vergleich zu den Elementen einer Lieferung von Gegenständen zu berücksichtigen ist.
Die Übertragung von Elektrizität an die Batterie eines Elektrofahrzeugs stellt nach Sicht des EuGH eine Lieferung eines körperlichen Gegenstandes
dar, da dem Nutzer der Ladestation ermöglicht wird, die Elektrizität zum Zwecke des Antriebs seines Fahrzeugs zu verbrauchen (vgl. Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112).
Die Versorgung der Batterie eines Elektrofahrzeugs mit Elektrizität setzt den Einsatz geeigneter Ladevorrichtungen voraus, hierunter fallen auch Ladegeräte die in das Betriebssystem des Fahrzeugs integriert sind. Die Gewährung des Zugangs zu dieser Ausrüstung stellt eine minimale Dienstleistung
dar, die notwendigerweise mit der Lieferung von Elektrizität einhergeht
und kann daher bei der Beurteilung des Anteils, den die Leistung an der Gesamtheit des Komplexen Umsatzes ausmacht, nicht berücksichtigt werden.
Die technische Unterstützung, die für die betroffenen Nutzer erforderlich sein kann, stellt keinen eigenen Zweck an sich dar, sondern ein Mittel, um die Lieferung der für den Antrieb des Elektrofahrzeugs erforderlichen Elektrizität zu erhalten. Dies ist auch der Fall bei der Bereitstellung von IT-Anwendungen, die es dem betreffenden Nutzer ermöglichen, einen Anschluss zu reservieren, die Transaktionshistorie einzusehen und Guthaben für die Bezahlung von Ladevorgängen zu erwerben.
Für den EuGH folgt daraus, dass die Übertragung von Elektrizität grundsätzlich das charakteristische und vorherrschende Element der einheitlichen und komplexen Leistung
darstellt. Hieran ändert sich auch nichts, wenn der betreffende Betreiber den Preis auf der Grundlage der Dauer des Ladevorgangs berechnet.
III. Ausblick und Auswirkung auf die Praxis
Mit diesem Urteil hat der EuGH Rechtssicherheit bei der umsatzsteuerlichen Einordnung des E-Charging geschaffen.
Er hat unstreitig festgestellt, dass in diesem Fall eine einheitliche Leistung in Form einer Liefe-rung vorliegt und dass die Abrechnungsmodalität kein entscheidendes Kriterium bei der Abgrenzung zwischen Lieferung und Dienstleistung ist.
Das gilt zumindest für Fälle, wenn kein Elektromobilitäts-Provider (nachfolgend „EMP“) zwischengeschaltet ist. Der EuGH hatte jedoch nicht über die Frage der umsatzsteuerlichen Behandlung von E-Charging im Drei-Personen-Verhältnis entscheiden.
Gerade die Einordnung der Leistung des EMP an den Elektromobilisten ist oftmals unklar und wirft Fragen auf. Insbesondere nach dem sogenannten Tankkarten-Urteil (EuGH C- 235/18; EuGH C 185/01) muss ein besonderes Augenmerk auf die Formulierung der Leistungsbeziehungen gelegt werden. Insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten kann die richtige umsatzsteuerliche Behandlung massive Bedeutung erlangen.
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